Inhalt: Der Roman spielt zwischen August 2010 und März 2011. Der ägyptische Privatschuldirektor Hakim ist von Natur aus ein Schürzenjäger und Genussmensch, darüber hinaus auch in einer handfesten Midlife-Crisis. Er weiß seine Macht auszubauen und zu verteidigen, interessiert sich dabei wenig für die miserable Lage der Mitarbeiter an seinen Lehrinstituten. Als Ausgleich zu dem anstrengenden Tagesgeschäft liebt er ausgiebige Nahrungsaufnahme und ausufernden Sex.
Als er eine neue Lehrerin für seine Schule in Alexandria einstellt, beschließt er sogleich, sie der Liste seiner zahlreichen Bettgenossinnen hinzuzufügen.
Die Deutsche scheint seinem Charme nicht erliegen zu wollen. Seine Annäherungsversuche fruchten nicht. Die Schöne wendet sich einem Tango Tänzer aus dem koptischen Milieu zu.
Mitten in diese schwierige Lebensphase des gemäßigt gläubigen Muslims platzen die ägyptischen Unruhen, die mit der Absetzung Mubaraks enden. Als sich herausstellt, dass Emmas Freund zu den Köpfen des Aufstandes zählt, sinnt Hakim auf Rache.

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Tango in Alexandria Hardcover
Erschienen am 7 Okt. 2020
- Publisher : tredition; 1st edition (7 Oct. 2020)
- Language : German
- Hardcover : 216 pages
- ISBN-10 : 3347163133
- ISBN-13 : 978-3347163133
Leseprobe
„Tango in Alexandria“ Hakim el Nazmy prüfte seine Rasur im Badezimmerspiegel. Zufrieden ergriff er den Attar-Flakon und tupfte sich Tropfen des kostbaren Öls auf den Hals. Er sog den Geruch von Moschus, Silberweihrauch, Amber, Jasmin und Oud ein, aber irgendetwas fehlte. Er studierte die Aufschriften der Cremedosen, die auf der Konsole herumstanden. Aus einer zerquetschten Tube entnahm er mit den Fingerspitzen ein wenig Gel, verrieb es in den Handflächen und verteilte die klebrige Masse in den grauen gekrausten Haaren. Er warf einen Blick auf seine Markenarmbanduhr: Zehn Uhr, Zeit aufzubrechen. Im Haus herrschte Stille. Sein Sohn Karim schlief noch. Hakim spazierte in die Küche, in der sich ungewaschene Teller und Gläser stapelten, Zeugnisse des nächtlichen Gelages. Mit dem rechten Schuhabsatz zertrat er die fette Kakerlake, die neben dem überlaufenden Abfalleimer versuchte, zu entkommen. Er erspähte die verbotenen Zigaretten und roch an dem Paket türkischen Kaffees. Ramadan. – Vor ihm lagen Wochen der Entsagung – zumindest tagsüber.
Seufzend warf er die Haustür seiner Villa zu und betrat den Vorgarten, der vornehmlich aus Steinplatten auf sandigem Untergrund bestand. Die Luft war erfüllt vom Geruch trockener Gräser auf ausgedörrter Erde. Die dünne Palme mit dem zum Erdreich gebogenen Stamm gehörte zu den wenigen Anpflanzungen, die er selber vorgenommen hatte.
Der August versprach bereits jetzt heiße Temperaturen. Zu dieser Morgenstunde zeigte das Thermometer schon über dreißig Grad an. Ein letzter Blick zurück, dann schloss er die Gartentür hinter sich. Zum Glück parkte der Wagen im Schatten des Nachbargartens. Die rot-blau leuchtenden Hecken aus Hibiskus, Bougainvillea und Bleiwurz verbreiteten betörenden Duft. Zufrieden registrierte Hakim die Arbeit des Gärtners, der frühmorgens die Pflanzen gewässert hatte. Die Tamariske beugte ihre Äste über den Zaun in alle Richtungen und versorgte mehrere Nachbarhäuser mit schattiger Frische. Hakim blieb kurz stehen und atmete durch, dann bestieg er das Auto – eine jahrzehntealte koreanische Blechschüssel – und drehte nacheinander die vorderen Fenster herunter. Schon wirbelte eine Brise Meereswind die Zettel auf dem Beifahrersitz durcheinander. Rasch griff er nach dem Aktenordner auf dem Rücksitz und warf ihn auf die losen Papiere neben sich.
Die schmale, wegen der parkenden Autos unübersichtliche Street 1 passierte er im Schritttempo. Kamal, der Kopte, arbeitete am Bügeltisch seiner Wäscherei, deren geöffnete Vorderfronttüren für frische Luft sorgten. »Guten Morgen, mein Freund, wann bekomme ich meine Hemden?«, begrüßte Hakim ihn, ohne den Wagen anzuhalten.
»Dir auch!«, erwiderte der Gegrüßte freundlich. »Heute Abend. Ich schicke Hussein gegen neun.« Hakim nickte zufrieden. Wie gewöhnlich würde er kein passendes Kleingeld für den Jungen haben und die Rechnung später direkt bei dessen Vater begleichen. Auf diese Weise sparte er das Bakschisch. Er bog in die menschenleere Bitash Street ein. Die heruntergezogenen Rollläden der Geschäfte verliehen der quirligen Hauptstraße den Anblick einer schützenden Festung. Rudel von Hunden, Dingos ähnlich, streunten um die überfüllten stinkenden Mülltonnen herum. Zerrupfte dürre Katzen suchten nach Essbarem.
Hakim wählte die Route durch das benachbarte Armenviertel Dekhela. Die baufälligen Wohnhäuser und die ausgezehrten Gestalten in durchsichtiger Gallabiya registrierte er aus dem Augenwinkel. Im Gegensatz zum Villenviertel wuchsen hier keine schattenspendenden Bäume, erfrischten keine Gärten; staubige Wege und löchriger Asphalt, wohin er auch sah. Die niedrige Moschee mit der verblichenen grünen Farbe hätte einen Stein zu Tränen gerührt. Der Blinde des Viertels saß wieder am Straßenrand. Er streckte flehentlich die knochige Hand aus. Dieses Bild strich Hakim augenblicklich aus seinem Gedächtnis. Wie lästig, sich mit dem Elend anderer Menschen zu belasten! Erfolg hieß seine Devise. Er hatte es geschafft: vom Straßenjungen zum Manager. Er gehörte der Elite der Stadt Alexandria an.
Ein klappriger Kleinbus versperrte ihm den Weg. Vergeblich versuchte er, links an ihm vorbei zu kommen. »Mach, dass du deinen Blechhaufen wegschaffst!
Ich will hier nicht die Beulen dieser Karre zählen!«, brüllte er dem Fahrer zu, der nicht älter als fünfzehn Jahre war. Der Junge schaute desinteressiert in seine Richtung. Er schien auf jemanden zu warten. Gerade als Hakim aussteigen wollte, um das Problem persönlich zu regeln, erschien ein wuchtiger Mann um die fünfzig auf der Bildfläche. Hakim hielt inne. Er starrte auf den Vollbart und das unübersehbare blaue Horn an der Stirn – Spuren der Begegnungen mit dem Steinfußboden während der Gebete und somit Zeugnis einer speziellen ideologischen Grundhaltung. Wortlos musterte Hakim das verschlissene T-Shirt, die ausgebeulten Jeans und die Schlappen, in denen die nackten Füße steckten. »Friede sei mit dir«, beeilte er sich zu rufen. Der Dicke bestieg grußlos den Wagen, ohne Hakim eines einzigen Blickes zu würdigen. Er schob den Jungen beiseite, nahm auf dem Fahrersitz Platz und fuhr los.
»Unhöflicher Kerl«, murmelte Hakim, »und so ungepflegt.« Er klappte den Rückspiegel herunter und begutachtete seine Kleiderwahl. Das Taubenblau des Amsterdamer Anzugs und das weiße Hemd unterstrichen seinen Sommerteint. Die oberen Knöpfe hatte er offengelassen, die Knäuel grauer Brusthaare fanden so den Weg in die Freiheit und wirkten erotisierend auf das weibliche Geschlecht, wie er glaubte.
Er war auf dem Weg zu einer vielversprechenden Verabredung. Seit Tagen schon dachte er an nichts anderes mehr: Emma Larosier stellte sich heute vor, blond, Mitte dreißig, apartes Gesicht. Ihr Foto hatte in dem Haufen Bewerbungen gelegen, den er rechts außen auf dem Schreibtisch hortete. Gegen seine Gewohnheit lud er sie zwei Wochen, nachdem er ihre Unterlagen gelesen hatte, zu einem Gespräch ein. Der Lebenslauf bescheinigte Berufserfahrungen in England und Frankreich, ihr Privatleben kam ihm jedoch mysteriös vor: Sie schien nicht gebunden. Warum wollte sie nach Ägypten? Hatte sie hier vorher jemanden kennengelernt und lief ihm jetzt hinterher? Nun … er würde das herausfinden; sein Jagdinstinkt war geweckt. Das Treffen war für elf Uhr vorgesehen, aber auch heute würde er es nicht schaffen, rechtzeitig einzutreffen. Doch Unpünktlichkeit gehörte zum Repertoire seiner Herrschaftsausübung: Frauen warteten auf ihn, nicht umgekehrt.
Wie gewohnt holte Hakim das Äußerste aus dem alten Wagen heraus. Er fuhr den sportlichen Slalomstil auf dem Highway und der Corniche. Hakim parkte vor dem Hauptportal. Ali saß hinter der Eingangstür. Als er seinen Chef bemerkte, erhob er sich rasch vom Stuhl und verbeugte sich lächelnd.
Ali war Sicherheitsbeauftragter. Sollte es ein Problem mit aggressiven Eindringlingen geben, war er der Mann, der sich darum kümmern würde. Hakim sah zwar keinen Anlass, sich ernsthaft zu sorgen, jedoch hatte die Eröffnung der Islamuniversität nicht nur in seiner Schule, sondern im ganzen Viertel für Irritationen gesorgt. Langbärtige Hünen um die vierzig mit rotem Haarschopf und Sommersprossen pilgerten jeden Mittag zum Gebet. Seine Kundschafter holten Informationen über ihr Alltagsleben in den benachbarten Bars ein und brachten in Erfahrung, dass niemand unter den Fremden irgendeiner beruflichen Tätigkeit nachging. Ihre Geldquellen blieben rätselhaft. Ali hatte versucht, ein Gespräch mit ihnen zu beginnen, und festgestellt, dass sie nicht ein Wort Arabisch sprachen. Die Gruppenzusammengehörigkeit manifestierte sich optisch: an den bloßen Füßen Sandalen, kurzen Hosen bis zur halben Wade, darüber die wallende weiße Gallabiya und auf dem Kopf die unentbehrliche gehäkelte Gebetsmütze. Sie erschienen stets im Rudel. Was zum Teufel mochte diese Rasputins bewegt haben, sich ausgerechnet hier einzunisten? Seit den Mordserien fundamentalistischer Gruppen zu Beginn der Neunzigerjahre hatte Hakim seine frühere Unbeschwertheit eingebüßt. Dank vieler Bakschische hatte er es geschafft, sich eine sichere Position im Herzen des Polizeichefs der benachbarten Station zu erarbeiten. Ein Anruf und die Polizei würde anrücken. – Hoffentlich. Hakim nickte Ali zu und betrat die Eingangshalle. Zwei Empfangsdamen saßen kichernd hinter ihrem Tisch. Offensichtlich amüsierten sie sich mit Computerspielen. Als sie ihn bemerkten, schlossen sie eilig das Programm und grüßten ihn lächelnd. Mit der rechten, mit Ayscha, hatte er ein paar Nächte verbracht. Sie war amüsant gewesen, aber abgesehen von den Bemühungen, ihn zu befriedigen, war ihm nicht viel Positives in Erinnerung geblieben. Ihre Brüste fand er zu klein und den Körper knabenhaft. Sie reichte nicht einmal an Rubens’ Eva, die er bereits in jungen Jahren als magersüchtig bezeichnet hatte. Er bevorzugte Frauenkörper wie die der drei Grazien, ebenfalls aus dem Pinsel Rubens’.
Hakim nickte auch den beiden Damen zu und wollte eben die Treppe in Richtung Büro hochgehen, da entdeckte er eine Blonde in der Warteecke. Sie entzückte ihn mit ihrem weißen Sommerkostüm; ihre nackten gebräunten Beine stellte sie schräg und parallel. »Guten Tag«, grüßte Hakim. »Sind Sie Frau Emma Larosier?« Sie legte ihre Lektüre beiseite und nickte. »Herr el Nazmy?«
Er lächelte beifällig und betrachtete die neue Mitarbeiterin mit Wohlgefallen. »Haben Sie gewartet? Das täte mir leid,« entschuldigte er sich mit zerknirschtem Gesicht. Sie überging die rhetorische Frage. Hakim bat sie in sein Büro und ging voraus. Er bot ihr einen Stuhl vor dem überdimensionalen Schreibtisch an und nahm auf seinem komfortablen Chefsessel Platz.
Sie taxierte die kunstvoll geschriebene Sure unter Glas, die hinter ihm an der Wand hing. »Hatten Sie eine angenehme Reise?«, erkundigte er sich höflich. Sie nickte. »Ich muss Ihre Unterlagen suchen, sie sind zwischen den Papieren«, entschuldigte er sich knapp.
Die folgenden Minuten wühlte er in den Akten und Zetteln, die den gesamten Tisch überhäuften. Eigentlich wusste er genau, wo sich ihr Dossier befand, jetzt aber galt es, Zeit zu gewinnen, um sie unauffällig zu betrachten und die ersten Eindrücke zu sortieren. Außerdem schätzte er es, bei den Besuchern und Mitarbeitern das Bild des schwer arbeitenden Managers zu erwecken.
Sie lehnte sich entspannt im Stuhl zurück. Er verglich im Geiste das Foto mit der Realität: Emma Larosier entsprach der Fotovorlage. Gesicht und Figur bewertete er positiv (wenngleich er die runden Formen vermisste). Ihre klugen blauen Augen, die Haare und ihr Duft, der sie umgab, versetzten ihn in einen nervösen Zustand. Seine Vorliebe für Blond war eine der wesentlichen Gründe für die Eheschließung mit Lize, seiner belgischen Ehefrau gewesen. Er hatte sich von ihr getrennt, als er bemerkte, dass sie aus den Fugen geriet und seinem wachsenden Bedürfnis nach Sex nicht mehr nachkam. Sie hatte den gemeinsamen Sohn großgezogen und ihm zu verstehen gegeben, dass sie ihr Recht auf Ruhe und Eigenleben verlange. Er hingegen hatte ihr klargemacht, dass er im besten Mannesalter war – Anfang fünfzig: Da brauchte man vollmundige Appetizer, keinen milden Jung-Passendale. Männer hegten einfach andere Bedürfnisse, das musste sie verstehen.
Seitdem er Single war, hatte er endlich wieder Zeit und Muße für das weibliche Geschlecht. Genau genommen führte er vier Leben: eins als Manager, ein zweites mit Sohn und Verwandten, ein drittes mit den langjährigen Freunden und ein viertes mit wechselnden lustvollen Intermezzi, die ihn amüsierten. Als Übersetzer englischer literarischer Texte ins Arabische war ihm der Charakter Dr. Jekyll beziehungsweise Mister Hyde nicht nur vertraut, sondern geradezu ans Herz gewachsen; im Stillen verglich er sich mit ihm. Wenn er Lust verspürte und sein Testosteronspiegel verrückt spielte, verlangte er nach einem Weib. Bevorzugt verbrachte er die Schäferstündchen mit einem bestimmten Mädchen im heimischen Bett; Gewissensbisse plagten ihn nicht. War sie verhindert, gab es weitere Alternativen, er hatte viele Telefonnummern.
Schwieriger waren da Europäerinnen. Die Nichtmusliminnen überraschten mit seltsamen Einfällen, Wünschen und Ansprüchen: schick speisen im Restaurant, Alkohol trinken, Zigaretten rauchen, anstrengende Gespräche führen … oft hatte er sich diesen Herausforderungen in seinem Leben nicht stellen wollen. Larosier … deutete der Name auf eine Hugenottenfamilie hin? Hoffentlich war sie keine strenggläubige, humorlose Protestantin. »Hatten Sie Vorfahren in Frankreich?«, fragte er mit unschuldiger Miene und fischte aus dem Haufen ungeordneter Dossiers ihre Bewerbung heraus.
»Ich komme aus einer Hugenottenfamilie. Nach der Bartholomäusnacht flohen alle auf die britische Insel. Später hat ein Zweig in Berlin gelebt, andere kehrten nach Frankreich, nach Montpellier zurück oder siedelten in den Cevennes. Wir sind Journalisten und Juristen. Meine Familie glänzt vor Jurisprudenz: Anwälte, Richter und Staatsanwälte. Als Lehrerin bin ich das schwarze Schaf«, lachte sie und strich sich eine Locke aus dem Gesicht. »So viele Fachkräfte, um sich zu haben, ist beruhigend. Einer aus unserer Mitte wäre sofort für mich da, falls das nötig sein sollte«, fügte sie hinzu.
Warum sagte sie das? War sie zänkisch und zog Konflikte an? Oder war sie nur ein wenig kokett? Er beschloss, die Doppeldeutigkeit zu ignorieren. Zu seiner eigenen Überraschung wechselte er direkt zum heikelsten aller Themen: der Geldfrage: »Haben wir bereits über Ihr Gehalt gesprochen?« Er blickte ihr prüfend in die Augen, um ihre Gedanken zu erraten.
»Nein.« Sie musterte ihn. »Es wäre schön, wenn wir das nun nachholen könnten. Auch die übrigen Verpflichtungen würde ich gerne kennenlernen.«
Sie hat eine Art, mich anzusehen … und diese Sätze, die sie äußert, sind so – vieldeutig. Ob sie das bewusst macht? »Sie sind nicht verheiratet? Leben nicht mit einem Ägypter zusammen?«, fragte er in geschäftsmäßigem Tonfall. Insgeheim grinste er. Die Gehaltsfrage ermöglichte den direkten Weg, das Privatleben der Mitarbeiterinnen auszukundschaften.
Sie runzelte die Stirn und lächelte entwaffnend.
»Danach richtet sich Ihr Gehalt. Das ist so üblich,« erklärte er.
»Ich wohne allein.«
»Welches Gehalt schlagen Sie vor?«
»Ich weiß nicht. Machen Sie mir ein Angebot?«
Sie lehnte sich im Sessel zurück. Ihre lockere zwanglose Haltung irritierte ihn. Sein Blick wanderte zur Klimaanlage. Beruhigt registrierte er, dass sie auf Hochtouren lief. Er hörte ihre melodische Stimme, die wie Honig in den Ohren klang. Er roch ihr Parfum und taxierte ihre Augen, die ihm jeglichen Zutritt zu ihren Gedanken verwehrten. Spielte sie mit ihm? Unerhört!
In diesem Augenblick beschloss er, Emma Larosier als Geliebte zu gewinnen. Er wusste, wie er vorzugehen hatte. Als Erstes benötigte er ein behagliches Heim für sie – in der Nachbarschaft. Auf der Suche nach einem geeigneten Objekt boten sich genügend Möglichkeiten, sie mit seinem organisatorischen Talent zu beeindrucken. Die zweite Phase könnte er betiteln als Ich-binder-Mann-und-beschütze-dich. Das war in Ägypten kein Problem, denn es gab viele Gründe für Europäer, Angst zu haben. An Ideen mangelte es ihm nicht. Danach würde sie sich glücklich schätzen, unter seinem persönlichen Schutz zu stehen.
»Zwölftausend Pfund für den Anfang«, schlug er vor.
»Ein Jahr später, wenn ich Ihre Leistung bewerten kann, sprechen wir über eine Erhöhung.«
Er biss sich erschrocken auf die Lippe. Wieso hatte er dieses maßlose Gehalt vorgeschlagen? Er verstand sich selbst nicht. Sie zückte einen Taschenrechner und prüfte die Summe in ihrer Währung. Zufrieden nickte sie.
»Das sind nach dem jetzigen Kurs eintausendvierhundert Euro«, bemerkte er mit sanfter Stimme.
»Sie sind eine qualifizierte Lehrerin und liefern eine ausgezeichnete Arbeit«, fügte er herausfordernd hinzu. Bei allem Enthusiasmus hatte er darauf zu achten, sich den nötigen Respekt zu verschaffen. Die bescheidenen Löhne der übrigen Angestellten ab fünfhundert Pfund erwähnte er nicht. Die einzigen Ausnahmen waren seine Bettgespielinnen, die Stillschweigen bewahrten.
»Ich vermute, dass Sie keine Sozialleistungen für mich zahlen?«
»Rentenversicherung in die ägyptische Rentenkasse? Gibt es ein Abkommen zwischen Ägypten und Deutschland?« Er lachte.
»Ich meinte eher die Krankenversicherung«, entgegnete sie.
»Sollten Sie erkranken, melden Sie sich bei einem Arzt, der für uns arbeitet. Er ist kompetent und kostet Sie nichts.« Schweigen. Emma wandte den Kopf von ihm ab.
»Sie möchten, dass ich neben meinem eigenen Sprachunterricht das Sprachdepartement aufbaue? Könnten Sie Näheres dazu erläutern?«, fragte sie geschäftsmäßig.
»Wir haben achthundert Schüler. Es fehlt uns an qualifizierten Lehrern. Die Konkurrenz nimmt zu. Wir benötigen Fortbildungen, die für die Zukunft wappnen. Ihr Unterricht in Französisch und Deutsch interessiert mich – sagen wir, fünfzehn Stunden die Woche und die Organisation von zwei Workshops pro Monat?«
Was war heute los mit ihm? Nie hatte er sich den Kopf über die Qualität des Instituts zerbrochen. Bislang war der Laden gut gelaufen. Die Eltern gaben ihre Brut bei ihm ab, zahlten und am Ende des Semesters standen die Noten im grünen Bereich. Darauf hatte er alle Angestellten getrimmt. Nur als letztes Mittel sortierte er aus, aber niemals im laufenden Schuljahr – das gefährdete die Einnahmen. Aber die Nachrichten seiner Informanten beunruhigten ihn: Überall schossen Privatschulen mit lächerlichen Namen, aus Tausend und eine Nacht entnommen, aus dem Boden. Zu seinem Ärger fanden diese sofort ihre Klientel. Natürlich waren sie nicht so gut wie seine Schule, aber er wusste, dass Werbung das Image förderte und die Popularität steigerte. Die Lady aus dem Norden Europas kam ihm da gerade recht: Mit ihrem Outfit entsprach sie dem Bild einer qualifizierten europäischen Lehrerin. Offensichtlich war sie gewillt, mit ihrer Arbeitskraft ihr Bestes zu geben. Die Kleidung allerdings … das musste sie ändern. Obwohl … doch, der Rock, der könnte länger sein.
Sie nahm ihr skizziertes Arbeitsfeld mit einem selbstbewussten Gesichtsausdruck und einem schwachen Lächeln zur Kenntnis.
Hakim sah auf ihren anziehenden, schön geschwungenen Mund. Ich möchte ihn auf der Stelle küssen, durchfuhr es ihn. »Wenn es recht ist, würde ich Ihnen gerne die Schule zeigen«, riss er sich zusammen, um einen sachlichen Ton bemüht. Trotz seines Übergewichts sprang er beweglich aus dem Bürosessel empor und eilte zur Tür.
Sie erstiegen Treppe um Treppe. Er zeigte ihr die Klassenräume mit Steinfußböden, in denen niedrige Tische und Stühle standen, die an einen Kindergarten denken ließen. Verschiebbare Glasscheiben trennten die Unterrichtsräume vom Flur. Auf diese Weise kontrollierte er jederzeit unangekündigt die Arbeit. Sein Motto Traue keinem, nur dir selber hatte ihn bislang vor Dieben, hinterhältigen Betrügern und faulen Lehrern geschützt.
Emma Larosier quittierte die Besichtigung mit höflichem Interesse. Sie spazierte durch die Etagen, als gehöre sie zu einer Inspektionsgruppe aus England, Deutschland oder – worst case – den Vereinigten Staaten … Die Kontrollen seiner Geldgeber waren ihm verhasst, aber was tun? Zwei-, dreimal im Jahr mitzuspielen, hatte er hinzunehmen. Leider musste er jedes Mal die Angestellten dazu bringen, sich an die Verhaltensregeln während der Inspektionsbesuche zu halten. Die Liste war lang: hygienisch einwandfreie Toiletten und blitzblanke Klassenräume waren nötig, die Nannys mussten ermahnt werden, ihren Putzjob ernstzunehmen. Lehrer und Schüler musste daran erinnert werden, das Gackern und Schreien, Zuwerfen von Türen sowie Herumbrüllen in den Klassenzimmern zu unterlassen. Gekreischtes Yallah! – antreibender Imperativ –, dessen Druckwelle sich mühelos durch alle Etagen arbeitete, war strengstens verboten. Die Anweisung an die Koordinatoren lautete den Sender Radio Qur’an, der mit quäkender durchdringender Stimme vierundzwanzig Stunden täglich Suren verlas, leise zu drehen, sehr leise, am besten ausmachen. Er forderte diszipliniertes Herein- und Herausgehen der Zöglinge wie in den okzidentalen Ländern und nutzte jede Gelegenheit, um auf den Unterschied zwischen Schule und Moschee hinzuweisen.
Der Gesichtsausdruck Emmas ärgerte ihn ein wenig. Ihm fehlten Anzeichen von Enthusiasmus und begeistertem Engagement. Wenigstens ansatzweise unterwürfigen Respekt ihm gegenüber hätte ihn erfreut. Stattdessen schlenderte sie neben ihm her, als sei die Visite alltäglich. Aber ihre Selbstsicherheit faszinierte ihn auch, das musste er zugeben. Hatte er je so eine Geliebte erlebt? Er ging die Liste durch und suchte in seinen Erinnerungen. Nein, nicht einmal während des Studiums. Lize? Schon damals hatte sie einer dominanten Walküre geähnelt – er hatte sie scherzhaft manchmal Frija genannt – die ihm den Zugang zu erotischen Konkubinen versperrte. Sie hätte ihn in das Reich der toten Seelen Odins gesandt, wenn er seinen Lüsten nachgegangen wäre.
Plötzlich bemerkte er eine Stelle an der unteren Wand im Flur, die schlampig gestrichen war. Er griff sofort nach seinem Smartphone, wählte die Nummer von Adel, verantwortlich für Technisches, und brüllte auf Arabisch los, damit Emma keine Details verstand. Die Demonstration der Macht war eine Lektion neue Angestellte. So erfuhr sie, dass es besser war, ihn auch ein wenig zu fürchten. »Ich muss immer alles kontrollieren, sonst klappt nichts«, erklärte er kurz darauf.
»Das ist sicher anstrengend.« Irritiert registrierte er die ironische Kritik.
»Zwei Jahre lang war ich Tag und Nacht auf der Baustelle. Jeden Mauerstein, jede Schraube habe ich kontrolliert«, bemerkte er würdevoll.
Sie sah ihn an. Der respektvolle Blick versöhnte ihn sofort. Adel erschien abgehetzt, um das Corpus Delicti zu begutachten. Er beeilte sich, dem Chef recht zu geben, und versprach rasche Abhilfe. Hakim fand die Haltung seines Angestellten eine Nuance zu souverän. Möglicherweise lag diese ungewohnte Selbstsicherheit am Ramadan, überlegte er. Hunger veränderte den Charakter, das kannte er von sich selber.
Als sie wieder im Büro eintrafen, fiel Hakim eine Frage ein: »Wo wohnen Sie zurzeit? Haben Sie bereits eine Wohnung gefunden?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe einen Makler beauftragt. Im Moment bin ich im Sofitel.«
»Seien Sie mein Gast. Während der Ferien habe ich keine weiteren Verpflichtungen. Ich helfe Ihnen, etwas Passendes zu finden.«
Er jubelte innerlich. Ihre Anwesenheit wäre für das Viertel, für die Öffentlichkeit unverfänglich. Sein Sohn wohnte ein paar Wochen bei ihm. Bei seiner Mutter sei es zu beengt, ließ er verlauten.
»Danke für das fürsorgliche Angebot. Mir schwebt ein Haus mit Garten vor. Am Meer stelle ich mir das Leben wunderbar vor. Im Bett liegen und das Meeresrauschen hören …«
Vor Hakims geistigem Auge erschien dieses Bild, das ihn augenblicklich in Unruhe versetzte. Er leckte sich die Lippen und räusperte sich. »Arabische Gastfreundschaft gebietet es, Fremden ein Dach anzubieten. Sie kennen sich in unserem Land nicht aus«, insistierte er.
Sie lächelte. »Wenn sich die Suche nach einem Mietobjekt zu lange hinzieht, komme ich gerne auf Ihren Vorschlag zurück.« Versonnen spielte er mit der Gebetskette, die auf dem Schreibtisch lag. In Kürze würde sie ein paar Tage bei ihm wohnen. Er würde schon dafür sorgen, dass es Zeit kostete, ein geeignetes Haus zu finden.